ökumenische Bewegung: Zueinander und miteinander

ökumenische Bewegung: Zueinander und miteinander
ökumenische Bewegung: Zueinander und miteinander
 
Der Mangel einer sichtbaren Einheit der Christenheit zieht sich als roter Faden durch die gesamte Kirchengeschichte bis zum heutigen Tag. Die christlichen Gemeinschaften, die Kirchen, besitzen zwar eine gemeinsame Basis: den Glauben, dass sich Gott durch Jesus Christus in einmaliger Weise offenbart hat. Alle beziehen sich auf das historische Geschehen, das an die Person des Jesus von Nazareth geknüpft und in den Schriften des Neuen Testaments bezeugt ist. Aber sie streiten über die angemessene Interpretation der Verkündigung Jesu und die konkrete Verwirklichung des angesagten Reiches Gottes im persönlichen wie im gemeinschaftlichen Leben. Dabei spielen die unterschiedlichen Lebensbedingungen der Gläubigen wie die verschiedenartige Wahrnehmung der jeweiligen geistig-kulturellen und politisch-sozialen Umwelt eine erhebliche Rolle. Und weil es in der Botschaft Jesu um Heil oder Unheil des Menschen geht, wird die Auseinandersetzung durch das Interesse an der eigenen Existenz gesteuert. So entstehen Widersprüche und Gegensätze, trennen sich die Wege. Der universale Charakter und Anspruch der Gottesoffenbarung verflüchtigt sich in bleibenden und geschichtswirksamen Separationen, in den partikularen Formen der Christenheit. Ihr Neben- und Gegeneinander wurde oft genug als ein dem Evangelium unangemessener Zustand bemerkt. Es gab mancherlei Versuche, ihn zu überwinden. Doch erst der tief greifende geschichtliche Wandel seit der Aufklärung bereitete den Boden für ein Umdenken und größere Anstrengungen im Bemühen um Einheit.
 
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts kam es in Deutschland zur Vereinigung von lutherischen und reformierten Kirchen. Bibeltreue Christen aus 50 Denominationen in verschiedenen Ländern schlossen sich 1846 zu einer »Evangelischen Allianz« zusammen. Bibel- und Missionsgesellschaften entwickelten Modelle zwischenkirchlicher Zusammenarbeit. Junge Christen verschiedener Konfession versammelten sich um die Bibel zu gemeinsamem Gebet und kümmerten sich um missionarische und soziale Projekte; 1855 wurde der »Weltbund der christlichen Vereine junger Männer« gegründet, 1894 folgte der »Weltbund christlicher Vereine junger Frauen« und 1895 der »Christliche Studentenweltbund«. Verwandte und gleichartige Kirchen - etwa Anglikaner, Reformierte, Methodisten, Altkatholiken und Baptisten - begründeten Kirchenfamilien beziehungsweise konfessionelle Weltbünde. Sozialpolitische Aufgaben wurden zum Anlass für kirchliche Vereinigungen auf nationaler Ebene. Einen Wendepunkt in dieser, vornehmlich von Laien ausgehenden Entwicklung bedeutete die Weltmissionskonferenz 1910 in Edinburgh.
 
Unter den versammelten Vertretern von Missionsgesellschaften standen die konfessionellen Streitfragen nicht zur Debatte. Wichtiger erschienen ihnen ein gemeinsames Handeln in den Missionsgebieten und das Bemühen um gerechte Beziehungen zwischen Nationen und Ethnien. Unter dem Eindruck einer starken Glaubensverbundenheit erfolgte 1921 die Gründung des »Internationalen Missionsrates«. Es wuchs die Überzeugung, dass »Mission in Einheit« und »Einheit der Kirche« sich wechselseitig ergänzen. Zeitgleich zu politischen Friedensbemühungen gründete 1914 eine internationale Gruppe protestantischer Christen den »Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen«. Sie wollten »die Kirchen zu gemeinsamen Bemühungen für die Förderung internationaler Freundschaft und die Vermeidung von Kriegen« gewinnen. In der Überzeugung, als Christen im »Dienst sozialer Gerechtigkeit und des Friedens unter den Völkern« zu stehen, errichteten 1919 Mitglieder dieses Bundes den »Internationalen Versöhnungsbund«. Aus den christlichen Friedensbemühungen während des Ersten Weltkrieges - dabei war Erzbischof Nathan Söderblom führend - erwuchs der Plan einer Kundgebung für soziale und internationale Friedensarbeit, der 1925 mit der »Weltkonferenz für Praktisches Christentum« in Stockholm in die Tat umgesetzt wurde. Diese Konferenz ließ sich von dem Grundgedanken leiten, dass trotz aller Lehrunterschiede die Kirchen in praktischen Aufgaben zusammenarbeiten können, getreu dem Motto »Lehre trennt, Dienst eint«.
 
Doch es gab auch die gegenteilige Auffassung, dass Lehrfragen nicht wie in Edinburgh und Stockholm ausgeklammert werden dürften. Der Aufruf zur praktischen Zusammenarbeit konnte die »wahre christliche Verkündigung« und die Einigung in Glaubens- und Strukturfragen nicht ersetzen. So kam es 1927 in Lausanne zur »Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung«. Zwar blieb es vorerst beim wechselseitigen Kennenlernen der vorhandenen Unterschiede zwischen den Kirchen; aber der Weg zu einer Annäherung konfessioneller Position schien eröffnet. Die fortschreitende Säkularisierung entfremdete breite Bevölkerungskreise dem Christentum; das Bild einer getrennten. Christenheit konnte hier kein glaubwürdiges Zeugnis vermitteln. Indessen brachten die vielfältig drängenden Zeitfragen die Christen näher zueinander. Missionarischer Optimismus beflügelte viele in der Hoffnung, durch ein Miteinander in praktischen Aufgaben und im Bekennen des Glaubens die herkömmlichen Kirchengrenzen zu überwinden. Das war der Beginn einer Bewegung, die ökumenisch im Sinne weltweiter Versöhnung und Einigung sein will. Ihr Ziel ist, die Einheit der Gläubigen in. Christus zu verwirklichen. Der Aufbruch provozierte die getrennten Kirchen, in der die Christen organisiert sind.
 
Prof. Dr. Dr. Erwin Fahlbusch
 
 
Daiber, Karl-Fritz: Religion unter den Bedingungen der Moderne. Die Situation in der Bundesrepublik Deutschland. Marburg 1995.
 Frieling, Reinhard: Der Weg des ökumenischen Gedankens. Eine Ökumenekunde. Göttingen 1992.
 Lübbe, Hermann: Religion nach der Aufklärung. Graz u. a. 21990.

Universal-Lexikon. 2012.

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